Tagebuch eines Weltenwanderers
Tagebuch eines Weltenwanderers

Kiki, der Vamp

von Schreiber

"Kiki sollte für mich so etwas wie eine Schicksalsbegegnung werden. Sie machte mir ein für alle Mal klar, dass Mädchen definitiv total anders ticken als Jungs und  in alle Ewigkeit nie auf einen gemeinsamen Nenner kommen werden. Von da an neigte ich zu der Auffassung, dass es vielleicht sinnvoller wäre, die beiden Geschlechter getrennt zu halten und nur in den Brunft­phasen zu Paarungszwecken kurzzeitig zusammenkommen zu lassen." (Kapitel 5)   

 

 

Kiki ist von den Mädchenfiguren eindeutig die dominierende. Von Anfang an hält sie das Heft in der Hand und diktiert Konya ihre Vorstellung von Liebe. Liebe heißt für Kiki Lust, und Lust zieht sie aus vor allem aus der Eroberung und Unterwerfung anderer. Sie unterwirft sich Konya im wahrsten Sinn und macht ihn von sich abhängig. Dass sie dabei selbst in Abhängigkeit gerät und unter ihrer Herrschsucht leidet, stellt Konya erstaunt beim zweiten Treffen im Feriencamp fest, wo sie ihre anhängliche Seite offenbart und ihm klar wird, dass dieses Wesen zwei völlig verschiedene Seiten hat. Konya ist einerseits fasziniert von der Stärke, die Kiki nach außen demonstriert, und die ihm so ganz und gar abgeht, andererseits erschreckt ihn ihre animalische Weiblichkeit, die sie ihm gegenüber herauskehrt. Trotzdem kommt er nie los von ihr, denn ihn verbindet das mit Kiki, was auch ihn durch und durch prägt: seine „Freaks“. Kiki ist wie Konya in unausgewogen, „unheil“ und in sich zerfallen in miteinander rivalisierende Wesenheiten. Dass Kiki am Ende ein tragisches Schicksal ereilt, trifft Konya, der die innere Verwandtschaft mit ihr spürt, deshalb besonders hart. Andererseits erfährt Konya seine innere Befreiung erst, als sein „Schatten“ von ihm weicht.

Wie Kiki die Sache sieht

Hi, ich bin Kiki. Ich spiele eindeutig die Hauptrolle in dem Buch, Connie vielleicht ausgenommen. Aber was wäre Koko ohne mich? Ich hab dem Schlappschwanz doch erst mal richtig Beine gemacht und ihn auf die Spur seiner „ewigen Liebe“ gesetzt. Die bin nämlich ich und nicht, wie er meint, Jule, Hanna oder sonst wer. Konya muss man erst die Flausen austreiben, bevor er klar sieht. O.k., ich habe einen Unterwerfungsdrang, aber doch nur deshalb, weil ich wirklich echt besser bin als die meisten. Und Konya fordert die harte Hand ja richtig heraus, weil er alleine einfach nicht klar kommt. Total mit sich im Unreinen, der Kerl. Weiß nicht, was er will und glaubt nicht die Bohne an sich, obwohl er doch alle Voraussetzungen hätte. So was bringt mich einfach in Rage. Wie kann einer so doof sein? Eigentlich müsste er einem leidtun, aber ich krieg dann immer den Rappel, wenn ich so was sehe. Soll er doch Scheiße fressen, wenn er meint, er braucht das. Ich hab das schließlich selber lange genug mitgemacht als Kind einer weißrussischen Asylantin, die mich kurz nach meiner Geburt bei meinem Vater, einem italienischen Gastarbeiter, zurückgelassen hat. Der war Alkoholiker und prügelte mir schon den Arsch weich, weil ich nicht geradestand, wenn er mich anschnauzte. Und mein späterer Adoptivvater fummelte an mir rum, kaum dass ich Möpse hatte und drohte mir, dass er mich auf die Straße setzen würde, falls ich nicht dicht hielt. Ich hab das jahrelang aushalten müssen, aber mich trotzdem nicht unterkriegen lassen und gelernt taff zu sein. Und dann bekam ich Connie zwischen die Finger. Der war genau der Richtige, dachte ich, um den Spieß mal umzudrehen. Und das tat ich dann auch. Im Feriencamp in Italien hab ich dann wohl ein bisschen dick aufgetragen, als ich im Kirchenelt die Domina spielte und es ihm mal so richtig gab. Aber ich war wohl ziemlich bedüdelt, und irgendwie hat es mir auch Spaß gemacht, dieses Weichei mal so auf richtig auf Trab zu bringen und ihm seinen Spleen von seiner "ewigen Liebe" Jule auszutreiben. Wenn der gewusst hätte, was ich mit seiner Jule schon getrieben hatte, bevor er sie zu seinem Tugendengel machte... 

Naja, natürlich hab ich auch eine weiche Seite, auch wenn man mir das nicht gleich ansieht. Und mit der habe ich den Kerl glaube ich ganz gern gemocht. Er konnte irgendwie ja auch so knuddelig und süß sein, bei all seiner Verbohrtheit. Man durfte ihn das nur nicht zu sehr merken lassen, sonst meinte er, dass er Oberwasser kriegt. Am Schluss dachte ich, dass ich ihn um den Finger gewickelt hätte, auch mit unserem Kind. Koko fuhr ja auf die kleine Julia richtig ab. Aber als er dann wegen der doofen Jule zu flennen anfing, weil sie ging, da war ich mir nicht mehr so sicher und wollte ihn auf die Probe stellen. Natürlich hätte ich ihn nicht mit Julia sitzen lassen, das könnt ihr mir glauben. Ich wollte ja eine Woche drauf schon wieder zurück sein von dem Besuch bei meiner schwerkranken Mama. Aber leider kam dann alles ganz anders. Schade - ich glaube, aus Connie wäre ein ganz guter Papa für die kleine Julia geworden...

 

Kiki im Roman

Kapitel 5: Erste Begegnung mit Kiki

 

Konya begleitet seine Schwester Kira auf deren Drängen hin als "Assistant-Girl" zu einem Song-Casting. Unterwegs treffen sie Kiras Mitbewerberin Roxana im Zugabteil.  

 

Kira kannte Roxana vom letzten Ausscheidungs-kontest, wo sie beide weitergekommen waren. Roxana, eine knuffige Brünette, drückte mir zur Begrüßung drei Schmätz­chen auf die Backen und stellte mir mit vielsagendem Grinsen ihre Schwester vor, eine hochbeinige junge Göre in ungefähr meinem Alter, die mit ihren getuschten Wimpern, drei Zentimeter langen lila Fingernägeln, dem bauchfreien Top und dem knallengen Ledermini aussah, als wäre sie gerade einem Kinderporno entsprungen. (...)

 

Kiki sollte für mich so etwas wie eine Schicksalsbegegnung werden. Sie machte mir ein für alle Mal klar, dass Mädchen definitiv total anders ticken als Jungs und  in alle Ewigkeit nie auf einen gemeinsamen Nenner kommen werden. Von da an neigte ich zu der Auffassung, dass es vielleicht sinnvoller wäre, die beiden Geschlechter getrennt zu halten und nur in den Brunft­phasen zu Paarungszwecken kurzzeitig zusammenkommen zu lassen. 

 

Roxana und Kiki setzten sich dann auf die freien Plätze uns gegenüber und Kiki bestürmte mich mit tausend Fragen über alles Mögliche. Ich versuchte herauszufinden, wer hinter dieser Lolita mit den pinkfarbenen Strähnchen in den schwarzen Haaren, den schrillen Klamotten und den hochhackigen Stiefeletten eigentlich wirklich steckte. Aber weil Kiki ständig die Klappe offen hatte, gickerte und mich regelrecht anbaggerte, fiel mir das ziemlich schwer. Irgendwie musste ich immer an die Eva in Kiras Bibelcomic denken, die bei aller Sündhaftigkeit immer so ein klein bisschen dümmlich guckte, und damit den ahnungslosen Adam herumkriegte. (…)

 

Während Kiki sich zu den Takten von „Happy“ von Leona Lewis wiegte, hörte ich mir „Love me“ von Norah Jones an. Irgendwie fand ich die liebe Norah ja ganz cool, aber mit der Zeit doch ein bisschen langweilig für meine Begriffe. Und weil ich mich langweilte, guckte ich Kiki zu. Was hätte ich sonst auch tun sollen, ich saß ihr ja genau gegenüber. 

Kiki bewegte die Lippen zu dem Song und ließ ihren Body kreisen wie der alte Elvis in seinen besten Zeiten. Das sah natürlich total sexy aus bei ihrer Figur, aber es war auch ziemlich putzig, wie sie das machte, so gar nicht affektiert, wie man es bei ihr vermutet hätte. Sie hatte ja die Augen zu und rechnete wahrscheinlich gar nicht damit, dass ich sie beobachtete.  

 

Und dann passierte etwas total Komisches. Gerade noch war ich froh gewesen, diesem kleinen Luder und ihren Nachstellungen entronnen zu sein, da fand ich sie plötzlich gar nicht mehr so übel. Immerhin war sie das erste Wesen außer meiner Mutter und vielleicht meiner Schwester, das sich für mich interessierte, auch wenn ihr Interesse phasenweise etwas bizarre Züge angenommen hatte. Dass mir das ausgerechnet in Mädchenklamotten zustieß, war natürlich ein Kuriosum, aber es änderte nichts an der Tatsache, dass ich als Geschöpf Gottes von jemand anderem wahrgenommen worden war. Und nicht von irgendjemand, sondern von Kiki. Kiki war mit ihren vierzehn Jahren ja schon ein Hingucker an sich, nicht nur wegen ihren Klamotten und ihrer Figur. Auch ihr Gesicht mit den tiefliegenden Augen, den hohen Wangenknochen und den aufgeworfenen Lippen hatte etwas Exotisches an sich. Aber das wirklich Verführerische an ihr war die Art, wie sie sich rüberbrachte. Kiki war so von sich überzeugt, dass sie schon allein dadurch die Leute von sich überzeugte, ob sie es wollten oder nicht. Kiki ließ einem keine Wahl. Und das traf auch auf mich im Moment voll zu. Ich hatte keine andere Wahl als ihr zuzugucken.

 

Kiki ließ weiter ihre Hüften kreisen, bewegte die Lippen bei geschlossenen Augen und machte dazu Grimassen, die vom Ausdruck zwischen himmelhochjauchzend und höllentieftraurig wechselten. Schließlich sang sie mit. (…) Es erinnerte mich ein bisschen an die Szene in dem Film „Pretty Woman“, wo Julia Roberts als Edelnutte in der Badewanne das Lied „Kiss“ von Prince vor sich hinträllert und der gute alte Richard sich zum ersten Mal ein bisschen in sie verguckt. Und wenn ihr mich jetzt auch für total gaga haltet, nach allem, was ich gerade durchgemacht hatte – mir ging es in dem Moment genauso. Ich fand Kiki plötzlich richtig süß, wie sie da saß und Kiras Song trällerte. Es waren natürlich schon auch schiefe Töne darunter, aber das machte das Ganze erst recht süß in meinen Ohren. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal von einem Song verführen lassen würde, aber genauso war es. Kiki verführte mich nach Strich und Faden, ohne dass sie mich dabei anfasste oder auch nur anguckte. Ich verstand jetzt, warum sich der olle Odysseus an einen Mast binden ließ und sich die Ohren zustopfte, um sich vor dem Gesang der Sirenen zu schützen. 

Und dann schlug Kiki plötzlich die Augen auf und sah mich an. Sie sah mich an, als hätte sie mich die ganze Zeit beobachtet und wüsste genau Bescheid, was mit mir abging. Ich fühlte mich voll ertappt und kriegte eine Birne rot wie Tomatenpampe. Das machte die Sache natürlich nur noch schlimmer, denn jetzt wusste Kiki, dass sie mich ertappt hatte, und ließ mich erst recht nicht mehr frei mit ihrem Blick. Sie sah mich an, als wollte sie mich mit ihren Augen röntgen oder so was.  Sie forschte mich bis in die tiefsten Tiefen meiner Seele aus. Was sie da finden würde, wollte ich lieber gar nicht wissen. Wahrscheinlich würde sie jetzt gleich schreiend davonlaufen.

Doch Kiki lief nicht davon. Stattdessen grinste sie mich an. Nicht einmal hämisch oder so, sondern richtig kumpelhaft und ein bisschen triumphierend. Und da wusste ich, dass Kiki mich in dem Moment durchschaut hatte. Sie hatte entdeckt, was für ein Freak ich war. Nicht nur als Transe und wegen dem Fummel, den ich trug. Sondern wegen dem Freak, der ich wirklich war. Deswegen hatte sie sich von Anfang an für mich interessiert. 

Und mir war klar, dass sie mich von da an in der Hand hatte. Sie war mir auf die Schliche gekommen und wusste, dass sie mich bei meinem Freak packen konnte, wann sie wollte. Sie konnte das, weil sie selber einer war. Kiki war ein Freak wie ich. 

  

Kapitel 20: Zweite Begegnung mit Kiki

 

Zwei Jahre später trifft Konya auf der Busfahrt in ein Feriencamp in Italien erneut auf Kiki, nachdem er sich eben erst mit Angela, einer Schülerin aus der Parallelklasse, angefreundet hat und von deren Unschuld bezaubert ist.

 

In diesem Moment kam ein Mädchen mit hochhackigen Stiefeletten und einem schwarzen Ledermini die Treppe vom oberen Busdeck herunter und stöckelte zur Bordtoilette. Dabei schwenkte sie ihren Arsch, als wäre er ein Fliehkraftregler. Obwohl mich so ein Anblick normalerweise nicht kalt ließ, fand ich den Auftritt der Miss in dem Moment einfach nur affig. Ich meine, es sah natürlich schon sexy aus, denn sie hatte wunderschöne Beine. Aber die Art, wie sie den Hintern schwenkte, sagte eigentlich schon alles. Dieses Mädchen wollte um jeden Preis auffallen. Und sie würde jedes Hindernis aus dem Weg räumen, um immer ganz vorne mitzumischen. Wehe dem, der ihr in die Quere kam und nicht kuschte.

Sie war das komplette Gegenteil von Angela.

Angela hatte meine Blicke auf das Mädchen bemerkt.

„Findest du sie hübsch?“

„Ein bisschen ordinär“, sagte ich.

Angela lächelte mich an. Ich hätte ihre Grübchen küssen mögen. Ich hoffte in diesem Augenblick nur, dass ich es diesmal nicht versaute und irgendeinen Mist baute. Ich wollte dieses Mädchen zum Freund haben. Mit Angela an meiner Seite konnte mir nichts passieren. Angela war meine Rettung. Sie würde mich kurieren. Sie würde mich vom Freak in mir erlösen. Sogar vom Sex-Freak, der ich war. 

Ich wollte gerade zu meiner Lebensbeichte ansetzen, als Miss Out-of-the-Way zurückkehrte. Ich hätte sie gar nicht weiter beachtet, aber sie steuerte direkt auf mich zu und stieß dabei einen Schrei aus, der die Geister der Unterwelt in Angst und Schrecken versetzt hätte.

Ich stand vor lauter Panik auf, weil ich dachte, dass sie irgendwie meine Hilfe brauchte. Doch sie schrie nur „Connie!“ und breitete die Arme aus. Die Augen aller Passagiere des unteren Bus­decks waren inzwischen allesamt auf uns gerichtet. Noch hielt ich alles für eine peinliche Verwechslung, aber eine unheimliche Ahnung beschlich mich: Ich war dieser Göre schon mal begegnet.

Nachdem sie mich umarmt und halb erdrückt hatte, packte sie mich bei den Schultern, ging eine Handbreit auf Distanz und sah mich an.

„Ich hätte dich fast nicht erkannt in den Jungenklamotten, Connie!“, rief sie mit gicksiger Stimme. (...)

 

Kiki war seit unserem letzten Zusammentreffen einen Kopf größer geworden und hatte auch an Rundungen nochmal beträchtlich zugelegt. Von den Körperformen her war sie ein richtiger Hingucker. Ich fragte mich, was dieser Teufelsbraten in einem Feriencamp der katholisch-christ­lichen Jugend machte. Sie war die Versuchung selbst. Die Geistlichen würden bei ihrem Anblick zu Salzsäulen erstarren. Auch sonst hatte sie sich ziemlich verändert. Ihre Haare waren jetzt pechschwarz und die Fransen ihrer Ponyfrisur reichten bis über ihre Augen. Mit ihren hohen Wangenknochen und ihren Schlauchbootlippen hätte sie als Schönheit gelten können, wäre da nicht ab und zu so ein fieser Zug um ihren Mund gewesen. Und ihre leicht vorstehenden Zähne erinnerten mich ganz fatal an das Gebiss einer Piranha. Mit Schaudern dachte ich daran, dass dieser Mund mich schon einmal geküsst hatte. Ich hoffte inständig, Kiki würde es diesmal bei einem Schmatz auf die Backe belassen.

„Lass dich küssen, Kleiner!“, hauchte sie, rammte ihre Vorderzähne gegen meine Lippen und drang mit der Zunge in meine Mundhöhle ein, als wollte sie stehenden Fußes von mir Besitz ergreifen. Ich ließ es zu, weil ich genau wusste, dass ich gegen Kiki keine Chance hatte. Jede Gegenwehr hätte sie nur noch weiter aufgestachelt. Also erduldete ich still, wie ihre Zunge in meinem Rachen Amok lief, stellte mir vor, dass mich gerade Angela sanft auf die Lippen küsste und freute mich auf die Nacht im Bus an ihrer Seite. Es konnte ja alles noch gut werden, dachte ich. Doch ich hätte wissen müssen, dass nichts gut werden würde, solange Kiki im Spiel war. (…)

 

Durch irgendeine bizarre Fügung des Schicksals hatte ich Kiki statt Angela als neue Reisebegleiterin bekommen. Kiki, die mich sicher auf ihre Weise geleiten würde. Sie würde mich dorthin führen, wo ich nie hatte sein wollen, aber offenbar sein sollte. Sie war meine nächste Lektion. (...)

Nachdem Kiki es sich neben mir bequem gemacht hatte, erfuhr ich, dass sie von ihren Eltern zur Strafe in das Feriencamp geschickt worden war, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Ich fand es irgendwie lustig, dass es Eltern gab, die ein katholisches Feriencamp als Straflager ansahen, wo man von seinen schlechten Gedanken kuriert wurde. Kiki überließ es übrigens mir zu erraten, was für Gedanken es waren, die dazu geführt hatten. Und sie überließ es mir, die armen Padres zu bedauern, die an ihr dieses Werk verrichten sollten.

Kikis Mund

 Trotzdem hellte sich meine Stimmung langsam wieder auf, auch deshalb, weil Kiki sich gar nicht mehr so abgedreht mir gegenüber benahm. Je länger wir quatschten, desto normaler wurde sie. Sie wirkte schließlich so normal, dass ich sie nach einer Weile irgendwie sogar ganz nett fand. Ich redete mir ein, dass sie normalerweise wahrscheinlich immer so nett war, und dass ich nur ein falsches Bild von ihr hatte.

Mir fielen plötzlich Dinge an Kiki auf, die ich vorher gar nicht so richtig an ihr wahrgenommen hatte. Zum Beispiel, was für einen hübschen Mund sie hatte. Ich meine, er war schon ein bisschen abartig mit den Pamela-Anderson-Lippen und den Hilary-Swank-Beißerchen, aber trotzdem total sexy. Kiki hatte ihren Mund, wenn sie nicht gerade quasselte, immer halboffen, so als würde sie gleich zuschnappen. Ich glaube, sie konnte ihn gar nicht richtig zumachen. Man musste richtig auf der Hut sein vor diesem Mund mit den vorstehenden Zähnen dahinter. Er schien immer auf der Suche nach etwas, dass er sich schnappen konnte. Ich habe jedenfalls nie einen aufregenderen Mund gesehen als den von Kiki. Mit der Zeit musste ich dann auch echt aufpassen, dass ich ihr nicht zu oft in die Pupillen sah, denn Kiki hatte nicht nur einen aufregenden Mund, sondern auch Augen wie eine Schlangenbeschwörerin. Wenn sie mich von unter ihren Ponyfransen heraus  mit ihrem Silberblick anschaute, wurde mir manchmal echt schwindlig. Ich hätte dringend Pussis Freakbrille gebraucht, denn mir war klar, dass ich ein gefährliches Spiel trieb. Seit der Geschichte mit Sen weiß ich, dass einer schönen Frau länger in die Augen zu gucken mindestens so gefährlich ist, wie einem Alligator die Hand ins offene Maul zu stecken. Ihr Ledermini und ihre braungebrannten Beine taten ein Übriges, um mich an den Rand einer Hitzewallung zu bringen. Kiki kriegte das natürlich mit. Mädchen haben ein übernatürliches Gespür dafür, ob sie die Oberhand über jemanden haben oder nicht.

 

Als Kiki merkte, dass sie mich allmählich rumkriegte, wurde sie auf einmal richtig lieb zu mir und machte mir Komplimente, wie hübsch ich doch geworden wäre, auch wenn an mir ein Mädchen verloren gegangen sei, und drückte mir immer wieder mal einen Kuss auf die Backe, wenn ich etwas sagte, was sie nett fand. Irgendwann hatte sie mich so weit, dass ich alle meine Vorurteile gegen sie fallen ließ und ihr sogar dafür dankte, mich von der langweiligen Schnepfe Angela erlöst zu haben. Ich war wirklich so benebelt, dass ich Angela eine Schnepfe nannte und in dem Moment auch gar nicht mehr nachvollziehen konnte, was ich an ihr so toll gefunden hatte. Und dann sagte ich Kiki, dass ich sie verdammt sexy fand. Auch wenn es in dem Moment stimmte, so war es natürlich eine Dummheit, es ihr zu sagen, denn Kiki hatte nun mein Geständnis, dass sie mich um den Finger gewickelt hatte. Sie nahm es mir aber nicht weiter übel, sondern belohnte mich mit einem ungefähr fünfminütigen Zungenkuss, der meinen erotischen Temperaturfühler bis zum Anschlag brachte. Mann, wurde mir heiß in der Hose. Zum Glück befanden wir uns in einem vollbesetzten Bus und nicht in einem leeren Zugabteil. (…)

 

Konya erfährt von Kiki dann zu seiner Überraschung, dass seine Jugendliebe Jule und Kiki Freundinnen sind und ist entsprechend schockiert, da er sich immer noch Hoffnungen auf Jule macht.

 

 

"Jule hat mir übrigens gerade eine Nachricht geschickt", sagte Kiki beiläufig. "Sie lässt dich grüßen und wünscht dir viel Glück mit deiner Neuen."

Ich dachte, ich hätte mich verhört.

"Welcher Neuen?"

"Na welcher wohl? Die, die neben dir sitzt natürlich. Ich hab Jule unser Knutschbild geschickt."

Kikis sadistisches Lächeln brachte mich fast um.

"Du hast was?"

"Zwischen euch ist es doch sowieso aus. Es wird sie freuen, dass du endlich jemanden gefunden hast."

"Dass ich jemanden gefunden habe? Du hast dich auf mich gestürzt!" 

Kiki legte die Arme über meine Schulter, drückte ihre Nase an die meine und fixierte mich mit Schlitzaugen aus nächster Nähe.

„Connie, du weißt genau, dass du von mir nicht mehr los kommst. Tu bloß nicht so. Ich seh dir auf hundert Meter an, dass du scharf auf mich bist wie Chilisauce.“

Das mit der Chilisauce stimmte sogar, aber hatte es etwas zu bedeuten? In mir tobte ein Kampf zwischen dem Konya, der einen hoffnungslosen Kampf um seine ewige Liebe weiterfechten wollte, und dem Konya, der lieber vor einem übermächtigen Feind die Waffen streckte.

Ich bäumte mich ein letztes Mal auf.

„Kiki, was willst du eigentlich von mir? Lass mich doch einfach in Ruhe! Du bringst mir nur Unglück! Und davon hab ich eigentlich schon genug!“

Kiki wertete dies ganz nach Frauenart als Kapitulation, küsste mich ganz zart auf den Mund und lächelte. Sie nahm mich überhaupt nicht ernst. Das gab mir den Rest.

Ich flennte wieder mal. Ich war eine verdammte Heulsuse geworden. Kein Wunder, nach all den Schicksalsschlägen, die wie ein Trommelfeuer auf mich niedergegangen waren.

 

Kiki versuchte mich dann zu trösten, nahm mich in die Arme und wiegte mich wie ein kleines Kind. Dazu sagte sie immer wieder „Ist ja gut, Kleiner, ist ja gut“ und „Es tut mir ja so leid.“ Aber von Leidtun konnte keine Rede sein, das verriet schon ihr triumphierender Gesichtsausdruck. Und statt Kiki in den Hintern zu treten und ihr den Marsch zu blasen, ließ ich es geschehen. Ich war einfach am Ende. Ich konnte nicht mehr. Als es dunkel wurde, sank ich von meinem Sitz und kniete am Boden, so fertig war ich. Ich ließ es sogar zu, dass Kiki meinen Kopf auf ihren Schoß bettete und mir immer wieder über die Stirn und die Haare strich. Sie hatte auf der ganzen Linie gewonnen. (...)

Kapitel 22: Das Unheil nimmt seinen Lauf

 

Während der ersten Woche im Feriencamp nimmt Kiki kaum Notiz von Konya und vertreibt sich die Zeit auf ihre Weise.

 

Ich litt wieder mal wie ein Hund. Wie ein Hund, der eine Witterung aufgenommen hat, aber die Fährte nicht mehr findet. Die Witterung war der Geruch von Sonnenöl und Shrimps. Der Duft, den ich im Schoß von Kiki gekostet hatte. 

Kiki vertrieb sich währenddessen die Zeit mit einer Gruppe von italienischen Jungs, mit denen sie übrigens in ihrer Landessprache parlierte. Kiki konnte fließend Italienisch – ich fasste es nicht. Sie wurde von den Makkaronis umschwärmt wie eine Königin von ihrem Bienenschwarm. Kein Wunder, denn sie war auch der einzig wirkliche Hingucker im Camp. Die übrigen Mädchen, die sich sowieso gegenüber den Jungs stark in der Unterzahl befanden, waren hauptsächlich von der Art, wie es Betschwestern sind: brav, sanft und nett, aber so aufregend wie die Muppet-Show. Kiki dagegen mit ihren schrillen Klamotten und ihrem Sex-Appeal passte in das Lager wie die heilige Jungfrau ins Moulin Rouge. Komischerweise wurde sie deswegen weder von den Aufsehern noch von den Padres irgendwie angegangen. Im Gegenteil – sie konnte sich als einzige frei bewegen und machte ganz offen mit den Jungs rum, ohne dass jemand etwas sagte. Entweder hatten die Padres Angst vor ihr, oder Kiki hatte auch sie schon bezirzt. Kiki hätte wahrscheinlich sogar den Papst rumgekriegt, wenn sie es drauf angelegt hätte.

Ab und zu trafen wir uns nach der Messe oder in der Abendfreizeit und Kiki drückte mir dann auch mal ein Küsschen auf die Backe und sagte Hallo, aber das war auch schon alles. Einmal fragte ich sie, ob sie mit mir schwimmen gehen wollte, aber sie hatte schon was anderes vor. Ich sah sie dann später mit einem der Jungs aus der Spaghetti-Clique Hand in Hand am Strand spazieren.

 

Ich hätte es mir im Voraus denken können. Kiki hatte mit mir gespielt, wie die Katze mit der Maus. Dumm nur, dass ihre Krallen ziemlich schmerzliche Wunden hinterlassen hatten.

Ich war wieder mal auf Büßertrip. Ich verfluchte meine Blödheit, nicht bei Angela geblieben zu sein. Und ich überlegte, ob ich nicht in das Meer hinausschwimmen sollte bis dahin, wo es in den grauen Himmel überging.

 

Plötzlich legten sich von hinten zwei Hände über meine Augen. Die Katze war zurück. Ich erkannte sie schon am Geruch.

„Lass mich in Frieden“, sagte ich. Ich musste sie mir unbedingt vom Leib halten, bevor sie neues Unheil über mich brachte.

Kiki kicherte und setzte sich mit einem Schwung auf meinen Schoß. Sie kannte wirklich keine Gnade.

„Mir ist langweilig“, sagte sie und grinste mich an. Mann, warum war sich dieses Mädchen ihrer Sache bloß immer so sicher.

„Ach ja, deine Italiener sind ja heute gefahren. Pech für dich.“

Zur Abwechslung grinste ich mal.

Aber Kiki grinste noch mehr.

„Warum Pech? Ich hab doch meinen Spaß gehabt.“

Sie wiegte sich auf meinem Schoß wie damals im Zugabteil. Zum Glück hatte ich meinen Claviculus diesmal besser unter Kontrolle.

„Und jetzt kommst du zu mir.“

„Ja.“

„Toll. Und wenn ich dich nicht mehr will?“

Kiki kicherte bloß, legte ihre Beine über meine Schultern und klemmte mit den Knien meinen Kopf ein. Ich bekam wieder diesen Geruch in die Nase nach Nussöl, Shrimps und Kiki. Die Erinnerung daran hatte mich während der letzten zwei Wochen in meinen schlaflosen Nächten auf der harten Lagerpritsche an den Rand des Wahnsinns getrieben. Ich war süchtig danach wie ein Junkie nach Stoff.

Und Kiki war auf dem besten Weg, auch diese Runde zu gewinnen.

„Hat dich denn jemand gefragt?“, sagte sie und hatte wieder dieses triumphierende Grinsen im Gesicht.

„Warum gehst du denn nicht zu den Polen? Da sind doch auch ganz nette Jungs dabei.“

Kiki räkelte sich, dass die Nippel ihrer Brüste unter ihrem Bikini-Oberteil hervortraten wie Revolverpatronen.

„Ach, weißt du, Connie, Jungs langweilen mich auf Dauer.“

Die gute Kiki hatte wieder einen ihrer Sprüche abgelassen, auf den man sich gar nicht einlassen durfte, wenn man bei klarem Verstand war. Sie vergewaltigte mich fast und ließ so ganz nebenbei durchblicken, dass sie das langweilig fand.

„Ach so. Und was willst du dann von mir?“

„Du bist anders.“

„Was meinst du mit „anders“?“

„Na, so wie ich eben.“

„Du meinst, genauso ein Freak.“

Kiki setzte ein zweideutiges Lächeln auf, das mich an das der Mona Lisa erinnerte.

„Die Freaks, das sind die anderen, Connie.“

So hatte ich das allerdings noch nie gesehen. Die anderen waren die Freaks. Kiki und ich waren die einzig Normalen auf diesem Freak-Planeten. Die Perspektive war zumindest interessant. Nur stellte sie die Dinge leider auf den Kopf. Kiki war ein Freak. Mindestens so ein Freak wie ich. Das war es aber auch schon, was uns miteinander verband.

Ich küsste Kiki auf die Innenseite ihres Knies.

„Nein, Kiki. Wir sind beide Freaks. Wir sind Verrückte, die sich aus Versehen auf diesen Planeten verirrt haben. Und deshalb klammern wir uns aneinander.“

Kiki sagte eine Weile gar nichts. Das war bei ihr ein Zeichen von Zustimmung. Aber wenn Kiki etwas zustimmte, dann meist nur unter der Bedingung, dass sie etwas ganz Eigenes draus machte.

„O.k., Süßerchen, wir sind Freaks. Aber dann benehmen wir uns auch so wie Freaks. Ich möchte heut Abend mit dir was ganz Freakiges erleben. Versprochen?“

Ich zögerte.

„Was meinst du mit freakig?“

„Lass dich einfach überraschen. Wir treffen uns auf der Party. Ciao!“

Sie verpasste mir ein Küsschen und verschwand so schnell, wie sie gekommen war. (…)

 

Am Abend treffen sich Kiki und Konya bei der "Campparty", die aus dem Absingen spirtuell angehauchter Lieder besteht:

 

Das nächste Lied war dann auch der Freude gewidmet, denn schließlich befanden wir uns ja im Campo della Gioia, und es bestand nur aus dem Refrain „Joy, joy, joy, every little joy …“, der in verschiedenen Sprachen und Tonarten x-mal wiederholt wurde. Es schien Kiki besonders anzutörnen, denn sie sang mit den Schwestern die zweite Stimme in einem astreinen Sopran, als ob sie schon jahrelang Arien in der Mailänder Scala geschmettert hätte. Das Mädchen erstaunte mich immer mehr. Sie war nicht nur ein Freak wie ich, sie war auch eine multiple Persönlichkeit. Irgendwo tief in ihrem Wesenskern gab es vielleicht wirklich das Mädchen, das sie selber war und zu dem ich mich hingezogen fühlte. Ich beschloss, sie in Zukunft nicht mehr Kiki, sondern Jana zu nennen, so wie sie wirklich hieß, und sagte es ihr, als das Lied zu Ende war.

Kiki wurde knallrot, als hätte ich ihr einen unsittlichen Antrag gemacht oder so. Ich hatte gar nicht gewusst, dass sie dazu in der Lage war. Sie musste demnach ein Schamgefühl besitzen wie normale Menschen. Allerdings verriet sie mir nicht, warum sie das peinlich fand. Alles, was sie dazu sagte, war:

„Bitte nicht, Connie. Mir ist noch nicht danach die Kiki abzulegen. Ich sag dir Bescheid, wenn es soweit ist.“

Und sie küsste mich ganz zart auf den Mund, als hätte sie noch nie geknutscht. Beim näch­sten Lied nahm sie dann meine Hand fest in die ihre und drückte sie immer wieder an ihre Lippen, während sie das nächste Lied leise mitsang:

Lausche, lausche, lausche meines Herzens Lied, lausche, lausche, lausche meines Herzens Lied, dich vergessen will ich nie, dich verlassen will ich nie, dich vergessen will ich nie, dich verlassen will ich nie…

Ein paarmal fielen sogar Tränen auf meine Hand. Kiki heulte. Sie wurde mir allmählich so unheimlich, dass ich ein bisschen Angst vor ihr bekam. Am Ende war sie eine stinknormale Tucke, und das hätte mir irgendwie auch nicht gepasst. Ich wollte eine Kiki, die beides war, Vamp und liebes Mädchen. Eigentlich war ich der Verkorkste. Und eigentlich war es ganz logisch, dass das kommen musste, was nun folgte.

 

Wer Genaueres erfahren möchte, muss im Roman weiterlesen - Kapitel 22!

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© Konya Koolmann