Tagebuch eines Weltenwanderers
Tagebuch eines Weltenwanderers

Hanna Brunner

 

Hanna ist für Konya die eigentliche Initiation. Das was Kiki auf sexueller Ebene bereits vorbereitet hat, setzt die attraktive Religionslehrerin mit dem Spitznamen „J-lo“ auf geistiger Ebene fort. Sie bringt Konyas spirituelle Seite erst wirklich zum Vorschein. Obwohl sich Konya lange dagegen sträubt, muss er einsehen, dass er dieser „spirituellen Versuchung“ gegenüber genauso wehrlos ist wie gegenüber Kikis ungestümer Sexualität. Als er schließlich darauf eingeht, dreht er den Spieß um und wird seinerseits zum Versucher. Sein Traktat, in dem er Luzifers Himmelssturz eine ganz neue Wendung gibt und damit die Schöpfungsgeschichte umschreibt, wirkt auf Hanna berauschend. Wie Konya ist sie ein in sich gespaltenes Wesen und verfällt Konyas „prophetischer“ Gabe bald ebenso, wie er ihrer reifen Sexualität. Am Ende flieht sie vor Konya und ihren eigenen Schatten.

Hanna Brunner

Kapitel 25   Fräulein Brunner, genannt J-lo

 

Inzwischen ging am Fixsternhimmel meiner weiblichen Stars und Idole ein neues Licht auf. Eine Supernova, die bald alles andere überstrahlte.

Sie hieß Fräulein Brunner. Und sie wollte „Fräulein“ Brunner genannt werden, obwohl es diese Anrede offiziell ja schon längst nicht mehr gab. Vielleicht wollte sie einfach nicht so alt rüberkommen wie die anderen Lehrer-Tussis. Jedenfalls hatten wir Fräulein Brunner in der Zehnten, in der ich jetzt war, in Reli. Meinem Lieblingsfach.

Fräulein Brunner war so ziemlich das Schärfste, was seinen Hintern je durch unser Schulportal gezwängt hatte. Als sie katechisiert wurde, hatten sich die anwesenden Priester und Diakone wohl pausenlos mit Weihwasser bespritzt, damit der Stachel der Unkeuschheit sich unter ihren Soutanen nicht aufrichten würde.

Fräulein Brunner hatte einen Arsch wie Jennifer Lopez, ein Gesicht wie Natalie Portman und einen Busen wie Dolly Buster nach der dritten Silikoneinlage. Ihre Miniröcke hatten an unserem Gymi ziemlich schnell Sensationswert, und wenn J-lo, wie sie in Schülerkreisen genannt wurde, darin über den Pausenhof oder durch die Aula stöckelte, bildete sich meist automatisch ein Spalier unter den Anwesenden, als schritte Moses durch die Fluten des Roten Meeres.

Man hätte J-lo aber Unrecht getan, ihren IQ nach ihrer Körbchengröße zu bemessen. Im Gegenteil, J-lo hatte es voll drauf. Sie erklärte und veranschaulichte den Unterrichtsstoff so gut, dass sogar die Blicke der Jungs immer öfter an ihren Augen und nicht sonst wo an ihrem Körper hingen. Ihre Augen waren übrigens von einem so märchenhaften Braun, dass die Gebrüder Grimm von Rotkäppchen bis zu den sieben Geißlein alle ihre Figuren daraus hervorzaubern hätten können, wenn sie nochmal eine Vorlage dafür gebraucht hätten. Nur ein Glitzern tief am Grund von J-los Pupillen verriet ab und zu, wenn sie gereizt wurde, dass da auch noch Platz für die böse Stiefmutter war.

Ich gestehe, sie verwirrte mich etwas. Nicht so sehr wegen der weiblichen Reize, auf die die Jungs in der Klasse in erster Linie abfuhren, sondern wegen der Art, wie sie diese Reize ausspielte. J-lo war die Unschuld in Person. Sie war völlig unaffektiert. Und wenn ihr Hintern beim Gehen in Schwingung geriet, dann wusste man, es war einem Naturgesetz geschuldet und nicht etwa ihrer Koketterie. J-lo schien der lebende Beweis dafür, dass man den Körper einer Sexbombe mit der Unschuld eines Rehkitzes vereinen konnte. Das brachte ich irgendwie nicht auf die Reihe. Genauso wenig wie die Tatsache, dass sie bei all ihrer zuvorkommenden Höflichkeit, die sie uns gegenüber an den Tag legte, knallhart und kompromisslos sein konnte, wenn es um die Durchsetzung schulischer Interessen ging.

Sie war sexy, lieb und gefürchtet. Ich konnte mir einfach keinen Reim auf die Frau machen. Daher beschloss ich, mich erst mal dem Trend der allgemeinen Begeisterung für J-lo nicht anzuschließen und abzuwarten, wer sich wirklich hinter diesem schillernden Wesen verbarg.

 

 

Hannas Knie

Konya taucht zunächst ab, gerät aber dann in Clinch mit seiner Religionslehrerin, weil er sich weigert, ihrem Arbeitsauftrag nachzukommen, "Gott zu spielen" bzw. Gründe dafür darzulegen, warum Gott die Welt erschaffen haben könnte. Zu Strafe bestellt ihn Fräulein Brunner zu einer Nacharbeit am Nachmittag ein. 

 

Das Nacharbeitszimmer war am nächsten Tag von 16 bis 18 Uhr reserviert. Eigentlich hatte ich vorgehabt, mit Mama Shoppen zu gehen, aber Fräulein Brunner bestand darauf, dass wir die Sache gleich hinter uns bringen sollten. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie mir doch eine reinwürgen wollte.

 

Sie empfing mich aber dann ganz freundlich und tat fast, als hätten wir ein Rendezvous oder so. Sie trug wie üblich einen Mini und eines ihrer maßgeschneiderten Tops, dass einem die Luft hätte wegbleiben können, aber ich war derlei ja schon gewöhnt von ihr und guckte gar nicht genauer hin. Das Nacharbeitszimmer war eigentlich winzig und ich nahm an, dass sie mich dort die zwei Stunden allein lassen würde, aber sie fragte mich, ob es mir etwas ausmachen würde, wenn sie sich dazusetzte, sie hätte eine Menge Korrekturen und arbeite lieber in Gesellschaft als alleine. Dabei grinste sie mich an, als ob ich mich darüber freuen sollte, und wartete auch meine Antwort gar nicht ab, sondern schob das eine von den zwei Tischchen schräg vor das andere, das für mich reserviert war. Dann setzte sie sich, kramte ihr Zeug aus der Mappe und begann zu arbeiten, ohne sich weiter um mich zu kümmern. 

Stattdessen schlug sie die Beine übereinander, so dass sie ihre hübschen Knie zu mir her kehrte.

Ihre Knie, die ich so liebte.

Etwas, das Gott wirklich einmal vollkommen gemacht hatte.

So wie die Füße von Sen. Oder den Mund von Kiki. Oder die Stirn von Jule.


Ich geriet wieder auf meine alte Grübelspur.

Hätte Gott nicht gleich alles vollkommen machen können?

Ich grübelte weiter, während mein Blick auf J-los perfekt modellierten Knien ruhte.

Hätte er nicht. Für uns Menschen wäre so viel Vollkommenheit nicht zu ertragen gewesen. Es wäre auf die Dauer Langeweile pur. In kürzester Zeit hätte niemand mehr die Vollkommenheit bemerkt, weil sie völlig normal gewesen wäre. Und nichts und niemand hätte sich mehr entwickeln können. Es wäre Stillstand pur gewesen.

 

Dann hatte ich plötzlich eine Eingebung. Ich wusste, dass sie nicht von mir stammte, oder zumindest nicht aus dem Teil von mir, der mir normalerweise zugänglich war. Es war ein anderer Teil von mir, der mir das flüsterte. Es war Sugarpuss, die zu mir sprach. Die seit langer Zeit endlich wieder zu mir sprach.

„Ich bin doch immer bei dir, du Blödmann!“

Das waren ihre letzten Worte gewesen. Aber wie hatte sie das gemeint? In welcher Form war sie bei mir?

Ich spürte in mich hinein Und dann war es mir klar.

Als die Sehnsucht. Als die Sehnsucht eines Freaks nach Erlösung. (...)

 

Solchermaßen inspiriert beschreibt Konya in seiner Nacharbeit den Abfall Luzifers von Gott und seinen Sturz in die Hölle als einen freiwilligen Liebesdienst Luzifers, um die Schöpfung zu erweitern und der göttlichen Liebe mehr Raum zu ihrer Verwirklichung zu geben.

 

 

Kapitel 26  Der Verrat

 

Die nächsten Tage fühlte ich mich wie von einer schweren Last befreit. Ich hatte etwas abgeladen. Es war ein Gefühl als schwebte ich.

Endlich war es draußen. Etwas, was ich immer schon in mir getragen hatte wie eine dumpfe Ahnung. Ich hatte es in die Welt gesetzt. Die Antwort auf die Frage aller Fragen. Der Big-Old-Daddy-Case war gelöst.

Das glaubte ich zumindest.

Mein Hochgefühl wurde noch dadurch verstärkt, dass ich wusste, J-lo würde es lesen. Sie würde meine Mitwisserin werden. Wir waren einander verschworen. Das Geheimnis würde uns enger aneinander binden als tausend Schwüre.

Natürlich musste ich mir eingestehen, dass sie das Spiel gewonnen hatte. Sie hatte mich geködert. Sie erschien mir mittlerweile sogar schon nachts im Schlaf. Aber irgendwie fand ich das gar nicht mehr so schlimm. Im Gegenteil. Wenn ich an J-lo dachte, überkam mich manchmal die seltsame Anwandlung in Form einer süßen Versuchung, wie ein Tropfen im Meer im Tiefbraun ihrer Augen zu versinken.

 

Ich war total meschugge.

Es hatte mich wieder mal erwischt.

Verknallt in die eigene Lehrerin.

Der Stoff, aus dem Teenie-Soaps gemacht sind.

Es konnte nur als Flopp enden.

Und der Flopp bahnte sich schon in der übernächsten Relistunde an.

 

J-lo platzierte sich auf das Pult. Als sie die Beine kreuzte, sah sie mich mit einem verschmitzten Lächeln an. Dann begann sie zu lesen:

„Am Anfang war die Leere. Aber die Leere war nicht ganz leer. Es gab darin einen Funken, der seit Ewigkeiten vor sich hin glomm. Er war dem Nichts abgerungen. Er stellte dem Nichts die Freude des Seins entgegen.

Diese Freude nannte sich Gott. Sie war Gott in seiner Liebe zum Sein. Gott war von der Freude und Liebe zum Sein durchdrungen. Er war dieses Sein von Anfang bis Ende. Und dieses Sein war so vollkommen wie das Nichts, über das es triumphierte.

Doch alle Liebe und Freude sind austeilend. So kam es, dass Gott, um der Liebe und Freude Raum zu geben, innerhalb dessen sie sich erfahren konnten, sich vervielfältigte und Wesen schuf, die ihm an Rang und Macht fast gleichkamen: die Erzengel. Sie waren fortan der innere Kreis der Schöpfung und nahmen Anteil an der Liebe und Freude ihres Schöpfers, als wären sie er selbst.“

J-lo machte eine Pause und sah mich an. Ich vermutete zumindest, dass sie das tat, denn ich hatte die Augen halb geschlossen und befand mich mit meinem Selbstwertgefühl und allem was dazu gehört 20.000 Meilen unter der Erde. Es durfte einfach nicht wahr sein. J-lo verlas meinen Entwurf zur Lösung der wichtigsten Frage der Menschheit vor der ganzen Klasse als wäre es irgendein Übungsaufsatz.

Wollte sie mich lächerlich machen? Vorsichtig öffnete ich die Augen und musterte ihren Gesichtsausdruck. J-lo lächelte wie die Unschuld selbst. Sie dachte wohl allen Ernstes, sie würde mir eine Freude bereiten. Es war einfach unfassbar. War sie sich denn überhaupt nicht im Klaren darüber, was sie anrichtete? Mein Blick wanderte zu ihren Knien, auf dem mein zehnseitiger Erguss von letzter Woche lag. In Gedanken verwandelte ich mich in Jack-the-Paper-Ripper und zerstückelte das ominöse Machwerk in tausend Fetzen.

Eigentlich hätte ich ja damit rechnen müssen. Dass meine Reli-Lehrerin eine Nacharbeit, die sie mir eigens zu dem Zweck verordnet hatte, meine bisher verabsäumte Bereitschaft zur Mitarbeit in ihrem Fach unter Beweis zu stellen, unter Verschluss halten würde, war natürlich naiv von mir. Aber irgendwie hatte ich mir vorgestellt, J-lo würde alles unter vier Augen regeln, nachdem sie die Tragweite dessen, was ich zu Papier gebracht hatte, einschätzen konnte. Ich hatte auf den zehn Seiten ja nicht nur das Geheimnis der Schöpfung enträtselt und den Code geknackt, der allem Seienden zugrunde lag. Ich hatte darin auch eine Verschwörung geradezu kosmischen Ausmaßes aufgedeckt. Mein Dossier enthielt Informationen, die der Sprengkraft von einer Million Atombomben gleich kam. Wenn man sie unvorbereitet auf die Menschheit los ließe, dann konnte das unter Umständen die Apokalypse heraufbeschwören. (...)

 

(Das ganze Traktat Konyas über die Frage, wie das Böse in die Welt kam, findet sich unter "Die Hauptthemen - Big-Old-Daddy-Case.) 

 

Am Schluss des Lesevortrags verrät Hanna auch noch, dass Konyas Traktat auf den "Eingebungen" seines Schutzengels Anakin beruhen. 

 

Obwohl es bis auf vereinzeltes Getuschel in der Klasse während J-los Lesevortrags ziemlich ruhig gewesen war, brach die Klasse nun, bei dem Nachtrag, unisono in schallendes Gelächter aus. Wenigstens das hätte J-lo mir ersparen können. Es war im höchsten Maß taktlos.

J-lo aber schien keine Skrupel deswegen zu empfinden und war stattdessen sichtlich gerührt. Sie glitt vom Pult und kam auf mich zu.

Ich machte mich gefühlsmäßig so platt wie eine Briefmarke auf meinem Stuhl. Aber es nützte nichts. Für J-lo war ich ohne Zweifel der nominierte Nobelpreisträger für religiöse Erbauungsliteratur. Sie sah mich die ganze Zeit, während sie zu mir hinter kam, mit ihren märchenbraunen Augen, in denen sich doch glatt zwei Tränchen gesammelt hatten, an, als sei ich der Lichtbringer und Erlöser in Person. Und wenn ich bis dahin glaubte, ich sei in einem Albtraum gefangen, so war ich mir bei dem, was nun folgte, ziemlich sicher, dass es sich wohl doch eher um einen Lebensausschnitt aus einer meiner völlig verkorksten Parallelexistenzen handelte, die irgend ein teuflischer Dämon mir als die wahre Wirklichkeit verkaufte.

Als J-lo an meiner Bank angelangt war, beugte sie sich über die Tischplatte, stützte beide Ellenbogen darauf und nahm meinen Kopf in ihre Hände. Dann sah sie mich so durchdringend an, dass ich mich innerlich nackt wie Adam nach dem Sündenfall fühlte, und drückte mir einen Kuss auf die Stirn.

Ich wiederhole: Einen Kuss. Eine Religionslehrerin und angehende Studienrätin küsste ihren minderjährigen Schutzbefohlenen vor der ganzen Klasse.

Aber statt aufzuspringen und Fräulein Brunner augenblicklich wegen eines sexuellen Übergriffs im Unterricht beim Direktorat anzuzeigen, blieb ich Blödian sitzen und nahm die Liebesbezeugung ohne Regung – oder zumindest ohne eine für meine Mitschüler, die sich natürlich einen Ast abkicherten, ersichtliche Regung hin.

„Danke, Konya!“, flüsterte J-lo mir ins Ohr, „ich liebe dich dafür. Sei mir nicht böse, dass ich es vorgelesen habe!“

Dann verkündete sie der Klasse, dass dies der erste Fall sei, wo sie eine Nacharbeit benotete.

Ich kriegte eine Eins, auch wenn, wie sie hinzufügte, meine Gedankengänge nicht ganz genau dem entsprachen, was sich die Kirche unter dem Sündenfall Luzifers vorstellte.

 

  

 

 

"Engel mit Flammenschwert", Tonplastik von Schreiber
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© Konya Koolmann