Tagebuch eines Weltenwanderers
Tagebuch eines Weltenwanderers

"Ewige" Liebe?

"Lovebound", Foto von Schreiber

Das Thema „ewige Liebe“ zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman. Nach seinem ersten Kuss mit Jule schwört Konya ihr die ewige Liebe, muss aber schon kurz darauf feststellen, dass die äußeren Umstände gegen ihn sind. Trotzdem hält er an seiner Vorstellung fest und will sie nur vorübergehend „auf Eis legen“. Doch schon gegenüber Sen, die ihn damit neckt, gerät sein Treuegelöbnis ins Wanken. Er fragt sich dann auch, ob er seinen Begriff von der Liebe, den er bisher nur als etwas Zwischengeschlechtliches definierte, nicht erweitern sollte auf etwas Umfassenderes. Intuitiv spürt er sogar, dass diese Art der Liebe die Antwort auf seine Frage nach dem Sinn von allem sein und ihn aus seinem Dasein als „Freak“ befreien könnte, doch in der Praxis scheitert er immer wieder, sich auf diese erweiterte Form des Liebens etwa durch mehr Mitgefühl mit anderen und Selbstachtung gegenüber sich selbst einzulassen. Stattdessen verstrickt er sich in erotische Abenteuer, die ihn tief in seine eigenen „seelischen Abgründe“ blicken lassen. So verteidigt er Kiki gegenüber zwar zunächst seine „ewige“ Liebe Jule, lässt sich dann aber von ihr zu einem Verrat an seinem Ideal verführen, obwohl er genau weiß, dass er es mit Kiki nicht lange aushalten wird. Seine Liebe zu Hanna hat dann immerhin auch eine geistige Seite, die es ihm ermöglicht, die tieferen Zusammenhänge um die Rolle der göttlichen Liebe in der Schöpfung zu erkennen, doch traut er letztlich seinen eigenen Eingebungen nicht und verrät sie bei dem entscheidenden Test, als Hanna ihm „einen Strick aus seinen Worten dreht“. Sein Nahtoderlebnis öffnet ihm dann kurz darauf endgültig die Augen darüber, was „ewige Liebe“ wirklich bedeutet, doch muss er nach seiner Rückkehr feststellen, dass seine kosmische Vision im Diesseits ihn nur bedingt trägt. Vor allem das tragische Schicksal Janas lässt ihn an der Echtheit seiner Schau erneut zweifeln. Am Ende schließt er zwar seinen Frieden mit „Big-Old-Daddy“ und seinen Freaks, doch bleibt offen, ob es ein Happy End für ihn und seine ewige Liebe Jule gibt.

 


Das Thema "ewige Liebe" im Roman

"Die Nacht" Linolschnitt von Jakob

 

Kapitel 15   Die Spur

 

Obwohl ich so müde war, fand ich an diesem Abend ewig keinen Schlaf. Nicht nur deshalb, weil Sen meine erotischen Phantasien anheizte wie ein Flammenwerfer mit Turbogebläse, sondern auch wegen dem, was sie gesagt hatte. Sie hatte mich dazu bringen wollen, Jule und meiner Vorstellung von der ewigen Liebe abzuschwören. Tatsächlich war das Bild, das ich von Jule in mir trug, in der letzten Zeit immer mehr verblasst. Und jetzt trat stattdessen mehr und mehr Sens Bild an seine Stelle. Vielleicht gab es so was wie ewige Liebe ja wirklich nicht. Vielleicht war die Liebe ein rein triebgesteuertes Etwas, das sich wahllos an das nächstbeste andersgeschlechtliche Etwas haftete, sobald dieses Etwas zur Fortpflanzung beziehungsweise Triebbefriedi-gung geeignet schien.

Aber dann fiel mir ein, dass Liebe ja nicht nur zwischen Mann und Frau existierte. Liebe gab es auch zwischen Mutter und Kind, Großvater und Enkel und so weiter, und manchmal existierte sie auch einfach so zwischen Menschen, die einander liebten, obwohl sie nichts mit Sex oder so im Sinn hatten. Sie halfen einander und taten sich Gutes, ohne dass sie irgendeinen praktischen Nutzen davon hatten. Einfach so. Man musste nicht mal Mutter Teresa als Beispiel bemühen – es gab täglich tausende von Fällen, wo Leute selbstlose Nächstenliebe praktizierten. Die Liebe zwischen Mann und Frau war so gesehen eigentlich nur eine Spezialform der Liebe. Liebe reichte nicht nur über die Funktion der Selbsterhaltung und Fortpflanzung hinaus, sie war etwas, was auch über den Menschen hinausreichte. Zumindest in dieser Form war sie ewig und unfehlbar. Wahrscheinlich aber stellte sie in jeder Form etwas Gutes und Kostbares dar. Vielleicht war sie sogar der Link, der zu Gott führte - die heiße Spur zur Lösung des Rätsels um Big Old Daddy.

 

Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr war ich davon überzeugt, dass es eine heiße Spur war. Schließlich hatte auch Jesus gesagt, dass Liebe der Weg zu seinem Vater sei. Zweifellos hatte Big Old Daddy mit der Liebe eine heiße Spur ausgelegt. Leider führte mich diese Spur zunächst mal in eine ganz andere Richtung. Das nächste Fettnäpfchen wartete auf mich. Eigentlich sollte ich in diesem Fall wohl eher von einem Schlamassel sprechen, in den ich die ganze Familie Pugelfug brachte.

"Pfingstrosen", Aquarell von L. Klein

 Kapitel 15  Sen und die ewige Liebe

 

Irgendwann kam das Gespräch dann auf die Liebe. Es war Sen, die es dahin lenkte, indem sie ausgerechnet Rappu fragte, was er von der ewigen Liebe halte.

Rappu stimmte wie zu erwarten sein keckerndes Lachen an und fragte zurück, ob das eine ernstgemeinte Frage sei. Sen antwortete, natürlich sei die Frage ernstgemeint. Sie hätte ein bisschen Angst vor der Vorstellung einer ewigen Liebe. Ewig sei doch ziemlich lange, und wenn man sich versehentlich an den Falschen gebunden hätte, dann wäre es das wohl gewesen mit Liebe und Glück und so.

Rappu setzte dann zu einem seiner wissenschaftlichen Vorträge an und meinte, dass sie keine Angst zu haben brauche, denn ewige Liebe zwischen Mann und Frau gebe es sowieso nicht. Das sei wieder mal so eine Erfindung der Kirche, um das Sakrament der Ehe mit einem passenden Fundament zu versehen und allem unmoralischen Treiben von vornherein Einhalt zu gebieten. Dabei sei der Mensch von Natur aus gar nicht monogam, also zur Einehe, veranlagt, wie die Kulturgeschichte der Mensch­heit zeige. Es habe immer gut funktionierende Gesellschaften auf polygamer Grundlage gegeben. Die Mono­gamie sei auch keineswegs ein Erfolgsmodell, denn die durchschnittliche Dauer einer Ehe betrage laut internationaler Statistik gerade mal vier Jahre. Die Frage sei vielmehr, ob es so was wie Liebe überhaupt gebe. Im Prinzip werde der ganze Spuk, der sich Liebe nenne, nämlich rein hormonell gesteuert. In der ersten Phase des Verliebtseins seien es Noradrenalin, Dopamin und Kortisol. Später übernähme dann Oxytocin die Rolle des Bindungshormons. Es sei eine Art Langzeitklebstoff, der zeitlich allerdings auch nur beschränkt haltbar wäre. Der Rest sei Gewohnheit, Bequemlichkeit und Angst vor dem Alleinsein. Rappu setzte sein süffisantes Grinsen auf und endete mit den Worten: „Das also ist die Liebe, Schwesterchen, und vor der musst du dich gewiss nicht fürchten.“

Mehmet blickte Rappu so finster an, als hätte der gerade einen Kratzer in seinen neuen Mercedes gefahren, sagte aber nichts. Marian meinte nur: „Raphael, musste das jetzt sein, du verdirbst einem aber auch allen Spaß an der Sache!“ Auch Sen schien nicht wirklich beruhigt, sondern sah ziemlich nervös zu Mehmet hinüber, dann zu mir. 

„Konya, was meinst du dazu?“, fragte sie schließlich. „Du glaubst doch an die Liebe, nicht wahr?“

Ich nickte. Natürlich glaubte ich an die Liebe. 

„Du glaubst doch sogar an die ewige Liebe, oder?“, bohrte Sen weiter.

Der neckende Unterton, den Sen schon wieder drauf hatte, irritierte mich. Und weil mir nicht ganz klar war, was sie hören wollte, sagte ich einfach, was ich immer noch glaubte und was ich ihr schon mal hatte verklickern wollen, nämlich dass die Liebe zwischen Mann und Frau auf die Ewigkeit hin ausgelegt sei, sonst wäre sie keine echte Liebe. Und diese Liebe sei das Größte, was einem Menschen passieren könnte. Ob sie vor der Ewigkeit dann auch Bestand hätte, sei eine andere Frage. Was mich beträfe, so würde ich jedenfalls dem Mädchen, dem ich meine Liebe schenkte, mein ganzes Leben auf alle Zeit zu Füßen legen.

Ihr werdet mich vielleicht jetzt für einen Schwafler halten oder einen Aufschneider, aber ich glaubte wirklich, was ich sagte. Ich war zwar erst einmal richtig verliebt gewesen und so gesehen ein totales Greenhorn, was die Liebe anbetraf. Aber der Augenblick, wo ich mit Jule an diesem verdammten Seil hing und sie mich zurückküsste, war für mich wirklich der größte Moment in meinem bisherigen Leben. Und das hatte ziemlich sicher nichts mit den Hormonen und der heißen Schokolade in meinem Bauch zu tun gehabt, denn in dem Moment hätte ich gar keine produzieren können. Insofern log ich wenigstens nicht.

Sen spürte das vielleicht und guckte zuerst fast ein bisschen eifersüchtig. Aber dann fasste sie meine Hand, drückte sie und sah mich an. Ich glaube, sie hatte sogar eine Träne im Augenwinkel. 

„Danke, Konya“, sagte sie leise.  

Und da geriet ich wieder mit mir selbst in Zweifel darüber, ob ich mir gerade nicht doch etwas vorgelogen hatte mit Jule und ewiger Liebe und so, wo sie doch so kurz vor dem Überspringen war.

Ich meine, immerhin saß ich neben einem Mädchen, das aus dem Stand heraus Miss World oder so was werden konnte. (...)

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© Konya Koolmann